Scharanser Zwischenrufe • Kolumne vom 5. Februar 2020

Das treibt mich um…

Wenn wir etwas über die Welt oder uns selber sagen, sind wir immer darauf angewiesen, dass wir vereinfachen. Wollten wir die ganze Komplexität der Welt miteinbeziehen, wir kämen nicht zu einem einzigen Satz. Das liegt an der Sprache und an der Welt.

Wer möglichst viele Bezüge in seine Überlegungen einbeziehen will, wird schwer verstanden.

Wer handeln will, ohne grosses Erklären, schaut auf möglichst wenig Komplexität. Dem kann man funktionales oder praktisches Handeln sagen.

Der deutsche Philosoph, der antrat alle Werte umzuwerten, Friderich Nietzsche nennt das Total der Welt den Willen zur Macht.

Der Wille zur Macht fliesst durch alles, was wir als Welt erfahren.

Was wir als Moral ansehen ist der Versuch, diesen Willen zur Macht einzuengen, seiner Herr zu werden, ihn zu unterjochen. Die Starken, die Gewinner machen deshalb eine «Herrenmoral», die Verlierer eine Sklavenmoral.

Durch die Umwertung aller Werte wollte Nietzsche eine neue Moral schaffen.

«Nur der aristokratische Mensch, der selbstbewusst genug ist, sich selbst zu verherrlichen, sei wertschaffend. Der Herrenmensch denke in der Kategorie des oben und unten, der Hierarchie. Sein Maßstab sei gut und schlecht. Der Sklavenmensch hingegen, der ängstlich und skeptisch ist, folge dem Maßstab von Gut und Böse, weil er hierdurch ein Mittel sehe, seine Lage zu verbessern.»
Die Herrenmoral denkt in gut und schlecht. Die Sklavenmoral in Gut und Böse.

Wir sind heute in einer Zeit, in der Autokraten sich wieder zur Herrenmoral aufschwingen. Sie sind zu tiefst antidemokratisch, antimoralisch und antihistorisch. Wenn sie etwas als Böse bezeichnen, dann tun sie es nur, um die Sklaven davon zu überzeugen, dass ihr Tun gut ist. Sie sprechen von der Achse des Bösen und geben vor Gutes zu tun. Das Gute aber ist gut in ihrem Sinne: Praktisch, ihrem Willen zur Macht förderlich, Teil ihrer Herrenmoral.

Folgende Frage treibt mich um: Macht es Sinn das Schwache zu schützen? Macht es Sinn den Willen zur Macht in Form der Herrenmoral in die Schranken zu weisen. Macht es Sinn, der Erde ein Recht auf Respekt und Würde zuzugestehen, damit wir Menschen ebenso ein Recht auf Würde und Respekt formulieren können? Oder bleibt uns nichts anderes, als die Herrenmoral zu akzeptieren, müssen wirdie Menschen, Eliten, Autokraten das tun lassen, was sie als gut oder schlecht ansehen, ohne Widerspruch, ohne Widerstand?

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