Scharanser Zwischenrufe
Ist eine Mönchsgrasmücke keusch?
Linard Bardill
Über die Langlebigkeit der Sehnsucht
Der Demokratie scheint ein Bedürfnis einzuwohnen, sich zu erweitern. Über hundert Jahre hatten in der Schweiz nur die Männer ein Stimm- und Wahlrecht. Vor fünfzig Jahren verdoppelte sich die Zahl der Demokraten *innen. Nach 7 Initiativen und Referenden bekamen die Frauen das Recht an der Politik Teil zu nehmen.
Heute drängen die Jungen danach, schon früher die politische Wahl zu haben. Den Mut über den Einbezug von Menschen nachzudenken, die zwar hier wohnen aber nicht hier eingebürgert sind, ist noch nicht so richtig erwacht.
Eines Tages werden wir aber auch Wesen eine Vertretung in den demokratischen Institutionen zubilligen, die weder lesen noch schreiben können, den Bäumen zum Beispiel, den Gewässern und den Gebirgen.
Das Recht der Erde wurde in der letzten Session des Nationalrates als parlamentarische Initiative eingebracht und im Sommer wird in einer Kommission zum ersten Mal darüber beraten. Bis es zur Abstimmung im Parlament kommen wird, wird es noch 5 Jahre gehen, im besten Fall. Da wird es möglichsein, dass jemand im Namen des Flusses Spöl gegen die Engadiner Kraftwerke wegen Verseuchung und Vergiftung des Wassers klagen kann. Im Namen des Wassers und der Tiere und last but not least der Menschen. Im Moment weigern sich die Kraftwerke ihre Verantwortung wahrzunehmen. Hätte der Spöl ein Klagerecht, könnte jeder für ihn einstehen und die Verbrecher vor den Kadi ziehen.
Vor einer solchen Erweiterung der Demokratie steht ein Wandel des Bewusstseins. Nachdem die Frauen über hundert Jahre mit den drei K’s Kirche, Küche, Kinder als politische Laufgitterwesen existieren durften, kamen sie vor 50 Jahren zu ihrem heute völlig selbstverständlichen Recht.
So wird es mit den sogenannten Ausländern gehen, die hier wohnen. Eines Tages werden sie von Bewohnern 2. Klasse zu Mitdemokrat*innen und werde mitentscheiden. die Entscheide werden gerechter, der Bevölkerung entsprechender sein.
Es versteht sich von selbst, dass das Wasser nie selbst vor Gericht gehen kann. Aber jeder Mensch könnte es als Statthalter vertreten, und sein Recht auf Sauberkeit einklagen.
Auch das wäre eine Transformation: Nicht nur die Menschen haben ein Recht auf sauberes Wasser, das Wasser hat ebenso ein Recht auf Sauberkeit. Heute gibt es dieses Recht noch nicht. Das Bedürfnis der Menschen, die sich nach einer Erweiterung, nach Gerechtigkeit sehnen aber nimmt zu. Und die Demokratie birgt das grosse Potential, diese Erweiterung möglich zu machen. Langwierig, Maloney, aber möglich.
Nur das Leiden bringe die Menschen zur Vernunft, sagt der Oberengadiner Politaktivist und Arzt Hansjörg Hosch. Das sei in der Medizin so und in der Gesellschaft.
Leiden wir noch zu wenig? Müssen wir unter die Klimalawine, bevor wir das CO2 Gesetz einführen? Gibt es nicht auch die Schönheit, die uns vernünftig machen könnte, die Erfahrung des Wunders, welche diese Erde täglich vor unserem Fenster vollbringt. (Heute Morgen gerade wieder eine Mönchsgrasmücke, unkeusch und troppo bella/bello!)
Was sie abstimmen müssen bei Pestizid- und Trinkwasserinitiative, das wissen sie selber am besten. Verlassen sie sich aber drauf: Die Sehnsucht und die Liebe nach Gerechtigkeit für alle Wesen dieser Erde ist unauslöschlich und die Demokratie hat einen langen Atem.