Scharanser Zwischenruf

Kunst statt Macht

Linard Bardill

Ein Baby Hospital als Ausweg aus der Argumentationsfalle


Tali Sharot, eine US – Psychologin hat ein gescheites Buch zum Thema «die Meinung der anderen» geschrieben. Darin stellt sie erst einmal fest, dass mit Argumenten kaum je verfestigte Meinungen umgestossen werden. „Informationen gleichen wir mit vorgefassten Überzeugungen ab. Je weiter weg die neuen Daten von den bereits vorhandenen Ansichten sind, desto geringer ist die Chance, dass sie als stichhaltig wahrgenommen werden.“


Münzt man das auf die Pandemie, haben der Bundesrat und die Kantone Mitte September aufgehört an die Wirkung ihrer Argumente für eine mRNA Impfung zu glauben. Bei der Hälfte der Bevölkerungen stachen sie nicht. Leider gingen sie nicht den Weg des kreativen Dialogs, wie ihn Tali Sharot vorschlägt, sondern entschieden sich für den indirekten Zwang.


Vor ein paar Jahren wurde ich für ein Bettkantenkonzert im Babyhospital in Bethlehem eingeladen. Im Taxi von Tel Aviv nach Jerusalem erzählte mir der Fahrer die Geschichte seines Sohnes, der während der Intifada getötet worden sei. Dann erklärte er mir, dass alle Israeli Nazis seien und erwartete meine Zustimmung. Im Hotel in Jerusalem erklärte mir der Besitzer, dass alle Palästinenser verkappte Terroristen seien und erwartete meine Zustimmung. Er erzählte mir die Geschichte seiner Familie, die Zielscheibe eines Terrorangriffs geworden war. Es waren keine 3 Stunden vergangen und ich sah mich genötigt, entweder für die Palästinenser oder für die Israeli Partei zu ergreifen.

Ich war erschüttert und verwirrt, sass im Zimmer und weinte. 

Als wir schliesslich nach Bethlehem ins Babyhospital kamen und den Kindern und ihren Eltern «Luegend vo Berg und Tal» singen konnte, hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Ich musste nicht kämpfen und belehren. Ich durfte singen. Es verstand zwar kein Mensch, was ich sang, aber die Lieder berührten. Mütter weinten, Kinder hörten auf zu schreien, Väter drückten mir die Hand. Als ich zurückfuhr, wusste ich, dass ich mich nicht für einen Schützengraben entscheiden musste. Ich hatte mich längst entschieden: Für das Singen, die Babys und ihre Eltern. 


Ähnlich geht es mir heute mit der Impfthematik. Beide Seiten haben für mich nachvollziehbare Argumente. Doch die Argumentenschwemme stiftet Verwirrung. Aus der Unsicherheit entsteht Rückzug und Agression. Es wird immer klarer, dass die Isolation, die Hetze und der Zwang nicht der richtige Weg sind, gemeinsam durch diese schwere Zeit zu kommen. 


Die Strategie von Tali Sharot aus der Argumentationsfalle herauszukommen, könnte folgende sein:

Statt uns zu bekämpfen, besinnen wir uns auf die gemeinsamen Grundbedürfnisse: Wir wollen alle als Individuen respektiert werden und wir wollen Sicherheit. Die allermeisten sind bereit, dafür einen Beitrag zu leisten. Die einen mit einer Impfung, deren Langzeitauswirkung man nicht kennt, die andern mit der Option, die Krankheit am eigenen Leib durchzumachen, ohne den Ausgang zu kennen.

Wir einigen uns darauf: Absolute äussere Sicherheit gibt es nicht, absolute äussere Freiheit gibt es auch nicht.

Bestimmt können wir uns auch auf den besonderen Schutz der gefährdeten Gruppen einigen, und auf den Verzicht auf unnötige Eingriffe bei den Kindern. Dies sollte der Staat ermöglichen: Anstelle von Verachtung Respekt, statt Angst Mut, statt Wut Dialog, statt Diffamierung Meinungsfreiheit, statt Ideologie Faktenoffenheit, statt Macht Kunst.


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