Das Atelierhaus für Linard Bardill steht an der Stelle eines alte Stalles im Zentrum von Scharans. Um eine Baubewilligung zu bekommen, war es nötig das alte Volumen wieder herzustellen. Es gilt das sogenannte Hofstattrecht, das aber mehr oder weniger auch eine Hofstattpflicht bedeutet. Das heisst, das alte Volumen muss wieder aufgebaut werden, dafür gelten die sonst rigiden Vorschriften für Abstände zu anderen Parzellen nicht.
Für das Atelier, in dem Bardill arbeitet, reichen ca. 60 Quadratmeter, also nur ein Drittel des alten Stalles. Das restliche Volumen wird von einem Innenhof beansprucht, der von einer roten Betonmauer umrundet ist. Diese Mauer ist übersät mit Rosetten. Der Aussenraum wird durch eine 14 Meter Durchmesser zählende monumentale Öffnung nach oben abgeschlossen.
Das Dorfgespräch und der Architekt
Scharans ist eine von zwölf Gemeinden im Domleschg und zählt 800 Einwohner. Ein behäbiges Dorf mit attraktiven Wohnlagen. Wenn Bardill, der seit vielen Jahren hier lebt, einen alten Holzstall abreisst und an der exakt gleichen Stelle ein modernes Atelierhaus aufbaut, gibt das im Dorf zu reden. Ein rot eingefärbtes Betonhaus ohne Fenster und Dach, dafür mit 150 unterschiedlich grossen Rosetten bestückt. «Der Bau dieses Hauses war ein Prozess, der uns fünf Jahre lang beschäftigt hat», sagt der Liedermacher.
Unzählige Projekte habe man im Kopf entstehen und wieder sterben lassen. Der bekannte Architekt Valerio Olgiati ging mit dem Künstler einen Weg über fünf verschiedene Projekte, bis er bei einem eigentlichen Antihaus angelangt war. Ein Haus sozusagen ohne Fenster und ohne Dach, vorerst schüttelte man den Kopf, konnte die Baustelle nicht verstehen. Die Radikalität von Olgiatis Idee bestach und verwirrte zugleich.
Nach 18 Monaten Bauzeit ist 2007 mitten im historischen Kern von Scharans, wo einst Jürg Jenatsch seine erste Anstellung als Pfarrherr gefunden hatte, eines der ungewöhnlichsten Häuser Graubündens entstanden. Der Gemeinderat hatte lange über den Bauplänen gebrütet. Die Tatsache, dass das Haus in Beton gebaut werden sollte, war eine dicke Kröte. Die Erdfarbe half dabei, sie zu schlucken, die Rosetten wohl ebenfalls.
Der grosse Teil des Geldes und des baumeisterlichen Aufwands wurde in die äussere Hülle gesteckt. Denn das eigentliche beheizte Atelier/Studio ist nur 60 Quadratmeter gross. Davor befindet sich der doppelt so grosse Ateliergarten, umgeben von fensterlosen Mauern und Giebeln. Wer das Haus von aussen betrachtet, bekommt nur rote Betonwände und schöne Ornamente zu sehen. Durch die grosse Öffnung in der Frontfassade sieht man hinauf in den Kreis, der den Garten begrenzt. Auch dieser Blick verwirrt und begeistert zugleich.
Verleihung des Architekturpreises
Scharans, seine Menschen und die Landschaft im Domleschg sind Bardill ans Herz gewachsen. Der freche Hausbau sei daher alles andere als eine Provokation oder ein permanentes Ärgernis, das er seinen Mitbürgern vor die Nase setzen wollte. «Ich bin ein Teil dieser Dorfgemeinschaft und brauche wie jeder andere auch die Akzeptanz der Bevölkerung.»
Das Atelierhaus soll für den Künstler zu einem Ort werden, an den er sich zurückziehen kann und seine Ruhe findet. «Es gibt mir die Möglichkeit, mich nach innen wie nach aussen zu bewegen.» An einem Tag der offenen Tür hat er die Scharanser eingeladen, bei ihm vorbeizuschauen und einen Blick ins Innere dieses ungewöhnlichen Hauses zu werfen.
Die Jury von der Architektur-Zeitschaft Hochparterre und das Schweizer Fernsehen bedachten Olgiatis Werk schliesslich mit dem bronzenen Hasen in der Sparte beste Häuser des Jahres 2007. Und in der Edition Dino Simonett erschien ein wunderschönes Buch über das „House for a musician“ in Scharans.