Lieder verbrannter Dichter

Diese CD widme ich Helmuth S. Unbehoven (D7801 St. Ulrich), einem Dichter, der noch lebt, totgeschwiegen, wie seine, im Nazideutschland «verbrannten», längst verstorbenen Kollegen. Er lebt im Schwarzwald, schreibt Bücher fürs Blechkistendepot und hat den Ehrgeiz, einen Verleger zu finden, im Lauf der Jahre abgestreift.

Den Ästheten ist er zu inhaltlich, den Moralisten zu pornographisch, den Linkslederjacken zu nordisch, den Nach-Auschwitz-kann-man-keine-Gedichte-mehr-Schreibern» zu hymnisch, den Postmodernen zu gläubig, den Klerikalen zu blasphemisch, den Weltuntergängern zu wenig kaputt.

Zu Hunderten sammeln sich die Bände, genug Stoff, um drei Literaturprofessoren ein Leben lang nie arbeitslos werden zu lassen. Stadtstreicher, Hungervisionär, verspottet, begeifert, und vor allem: nicht zur Kenntnis genommen.

Er hat mich auf die verfemten Dichter seines Jahrhunderts aufmerksam gemacht. Ihm verdanke ich die Menschheitsdämmerung, die letzte grosse Bewegung des Individuums gegen die Maschine. Tagelang kam ich nicht mehr aus meinem Zimmer, die Worte dieser vergessenen Generation haben mich nicht mehr losgelassen. Haringer, der Gotteslästerer und Mariafreak, ist mein Liebling geworden. Sein Narblass lag Jahrzehnte in Köniz bei Bern auf dem Estrich des Gemeindehauses in Pappschachteln verpackt, und man wusste lange nicht, ob der nächste Kanzlist die Schachteln beim Aufräumen entdeckt und auf die Strasse stellt.

Walter Mehring. Für die aufs Brecht- und Benneis gelegten Nachkrieger kein Thema. 12 Briefe aus Mitternacht, das Leben eines Heimatlosen, sein letztes Manuskript, grosser Abgesang des Ohneland, in einem Koffer auf der Deutschen Bundesbahn verschwunden.

Man Hermann Neisse. Stundenlang wandert er durch die fremde Stadt, um mit einem Hotelportier ein paar Worte Schlesisch, die Sprache seiner verlorenen Heimat, wechseln zu können. Gnom mit dem Nordwindherzen, den seine Frau im Eid) mit einem Londoner Bankier eintauscht: «Ihr merkt es nicht: es geht mit mir zu Ende, das Sterben steht an jeder Wegeswende.»

Else Lasker Schüler. Nach der Verbrennung ihrer Bücher flüchtet sie in die Schweiz, irrt verzweifelt durch die Strassen, übernachtet im Park auf einer Bank, wird festgenommen wegen Landstreicherei. «Mehr von Nachteil konnte über die Nachgefragte nicht erfahren werden.» (Originalton des Polizeiprotokolls). Ihr Theaterstück: «Aronymus» wird auf Druck der deutschen Botschaft vom Spielplan des Zürcher Schauspielhauses abgesetzt.

Kurt Tucholsky. Geissel des wilhelminischen Grössenwahns. Bis auf das Jahr genau sieht er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges den Beginn des neuen Weltkriegs voraus. Seine Briefe aus dem schwedischen Exil an die Zürcher Ärztin «Nuuna» gehören zu den drei Büchern, die ich auf die einsame Insel mitnähme.

Für mich leben sie noch. Väter, Mütter. Man hat sie aus dem Gedächtnis ihres Volkes getilgt. Für das Wirtschaftswunderdeutschland waren sie genauso unbrauchbar wie für das Tausendjährige Reich. Und in der Schweiz sind die toten Dichter immer schon die besten Dichter gewesen. Doch ihre Lieder klingen nach. Ihre Schicksale sind die Erde, auf der ich ein neues Europa erblühen sehe, allen Mahnern zum Trotz.

Sie sind sich und ihrer Utopie von der Freiheit des Menschen treu geblieben, gegen alle Besserhaber und Rechtwisser. Für mich gibt es keine Alternative, auch wenn die Zeiten noch so düster und die Menschen noch so verladen.

Die Pfaffen rüsten zu neuen Feldpredigten. die Politiker verheissen neue Horizonte:

Ohrenbeicht und Augenwisch - Kälteschock, Saharafisch- Gemeinschaftsbrei und Freiheitsgauk- Seifensud Kulturklamauk.

«Wo ist ein Meer, darin man ertrinken könnte, klingt unsere Klage hinweg über flache Sümpfe.«

Nietzsche, sein Erbe ist unser Skorbut, und die Kulissen können nicht mehr greller angemalt werden.

Verzeihung, aber ich glaube. Ich glaube, dass der Unendlichschwach, der Ohnemacht, der Haltdiefress und der Dubistdreck die einzigen sind, die Maschine lahm zu legen. Sie, und mit ihnen die Liebe.

Linard Bardill 1988

Lieder verbrannter Dichter

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Liederliste

In Folge die komplette Lieder-/Trackliste mit ausgewählten Liedern zum Reinhören

  • Aufmarsch der Grosstadt
  • Am Rand der Zeit
  • Gott
  • Nur Du
  • Der Lenz ist da
  • Krieg dem Kriege
  • Gebet
  • Liebeslied
  • Die vier auf der Walze
  • Vor der Ernte
  • Fremde
  • Von den Toten
  • Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen
  • Abendgebet
  • Ich liebe dich
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